Sieben Sport-Motorräder in der Landstraßen-Wertung

Aprilia RSV4 RF, BMW S 1000 RR, Ducati 1299 Panigale S, Honda Fireblade SP, Kawasaki ZX-10R, Suzuki GSX-R 1000 und Yamaha YZF-R1 haben sich im ersten Teil des Tests auf der Rennstrecke gemessen. Nun kommt die Landstraßen-Wertung.



Fototermin auf dem Flugplatz von Neuhausen ob Eck. Sieben Motorradmotoren mit zusammen 26 Zylindern und vollen 1363 PS Nennleistung grummeln im Leerlauf vor sich hin. Nur fliegen ist schöner. Ernst Leverkus, genannt Klacks, nannte Motorrad­fahren einst das „Fliegen auf der Erde“. Ein Spiel mit Schräglage, Längs- und Querbeschleunigung, Roll- und Gierraten. Eine Fortbewegung in zweieinhalb Dimensionen. Dann entsprechen diese Supersportler wohl Kampfjets, gebaut fürs Leben am Limit. Stark, leicht, extrem. Alles für maximale Fahrleistungen und spektakuläre Manöver.

Dazu mit modernster Elektronik gespickt: Verschiedene Fahrmodi mit unterschied­licher Gasannahme/Leistungsentfaltung (nicht bei der Honda), differenzierte ABS-Einstellungen bei den Europäern. Ferner mehrstufige Traktionskontrollen, außer bei Honda Fireblade SP und Suzuki GSX-R 1000, um überbordende Leistung überhaupt sicher auf den Boden der Tatsachen zu bringen. Ermöglicht durch komplexe Software und Ride-by-Wire. Die Ausstattungsliste zeigt: Das Siebenerfeld ist nicht homogen – hier treten vier gegen drei Maschinen an.


Welche Motorräder fehlen in diesem Test?

Was weniger die vier Japaner gegen die drei Europäer meint. Sondern eher die neuen bzw. stark überarbeiteten Modelle Aprilia RSV4 RF, BMW S 1000 RR, Ducati 1299 Panigale S und Yamaha YZF-R1 gegen die drei Supersport-Youngtimer Honda Fireblade SP, Kawasaki ZX-10R und Suzuki GSX-R 1000. Jene sind deutlich karger ausgestattet, vor allem die Fireblade. Ein elektronisch reguliertes Fahrwerk hätte die Yamaha YZF-R1M für 23.000 Euro. Doch ­diese Edelversion ist in Deutschland ausverkauft, war daher für diesen Test nicht verfügbar. Also muss die Standardversion mit konventionellem Fahrwerk ran.

Wer fehlt noch? Erstens die 173 PS starke KTM 1190 RC8 R, weil sie ausläuft, nicht mehr weiterentwickelt wird. Ferner die MV Agusta F4 1000 RR, Vierzylinder auf Italienisch. Von ihr folgt 2016 ein neues Modell, leichter und stärker, moderner und kompakter. Ironie des Schicksals: Den Aufhänger dieses Tests sollte die Kompressor-Rakete H2 von Kawasaki bilden. Mit vielen Anleihen bei Kawasakis Flugzeugsparte. Schwarz und böse wie der Mach-3-Jet Lockheed SR-71. Doch wir warten immer noch auf die Kawa.

Sportbikes gegen russische Antonow AN-2P?

Nicht schlimm, denn auch so haben wir ein buntes Feld beisammen. Dies meint mehr als leuchtende Lacksätze, knallige Warnfarben. Vier konventionelle Reihen-Vierzylinder (BMW, Honda,  Kawasaki, Suzuki), ein typischer 90-Grad-V2 von Ducati und zwei V4-Motoren: ein echter mit 65 Grad Zylinderwinkel von Aprilia plus ein unechter, denn die Kurbelwelle der Yamaha YZF-R1 imitiert einen 90-Grad-V4.

Doch zunächst schiebt sich laut dröhnend ein anderes Gefährt auf die Rollbahn: eine russische Antonow AN-2P mit Schweizer Zulassung. Der welt­größte einmotorige Doppeldecker stiehlt den sieben Supersportlern fast die Schau. Sein Neun-Zylinder-Sternmotor bringt es auf 1000 PS. Pilot Daniel Reichner erklärt uns ­seine „Anastasia“ getaufte Maschine (Infos: www.antonov.ch). Sie ist Baujahr 1973, ein Bote aus einer anderen Epoche. „Elek­tro­nisch ist hier gar nichts.“ Dem „Traktor der Lüfte“, so hieß die Antonow in der DDR, reichen 150 Meter bis zum Abheben. Was der Doppel­decker auch spektakulär demonstriert.


"Gut Motorradfahren ­beginnt mit Selbstbeherrschung!"

Pah! Auf 150 Metern hechten unsere Boliden aus dem Stand heraus auf Tempo 175. Sofern der Umgang mit Gasgriff, Kupplung und am besten noch Wheelie-Kontrolle geübt ist. Von null auf 200 sprintet die BMW S 1000 RR in 7,1 Sekunden! Kaum langsamer: die 7,5 Sekunden der Suzuki GSX-R 1000. Mit gemessenen 175 PS bei der Supersport-Suzi bis zu unglaublichen 212 PS bei der BMW gibt dieses Duo die Extreme unserer Superbikes vor. Erinnert sich da noch jemand ans freiwillige 100-PS-Limit in Deutsch­land? Vor 33 Jahren hießen die 100-PS-Superbikes noch Honda CB 1100 R, Kawasaki GPZ 1100 und Suzuki GSX 1100 Katana. Sie wogen über 250 Kilogramm.

Damals hieß es pathetisch in MOTORRAD: „Damit kann man noch überholen, wenn man im Auge des Entgegenkommenden bereits das Weiße erkennt.“ Was soll man dann heute sagen, angesichts as­tronomischer Leistungsgewichte von einem Kilogramm pro PS und darunter?

Aprilia RSV4 RF: 207 Kilogramm, echte 203 PS; BMW S 1000 RR 205 Kilogramm, 212 PS; Ducati 1299 Panigale S: 194 Kilogramm zu 201 PS,  Yamaha YZF-R1: 199 Kilogramm und ebenso viele PS. Auweia. Alles bei Serienmotorrädern mit Nummernschild und Beleuchtung, nicht an reinrassigen Rennmaschinen.

Maximal 180 PS drückt die CBR 1000 RR bei moppeligen 212 Kilogramm Eigengewicht. Dabei ist die Honda Fireblade SP ein Einsitzer. 194 PS stemmt die 203 Kilogramm leich­te Kawasaki ZX-10R. Die gleich schwere Suzuki  GSX-R 1000 lässt 175 Pferde antraben. Dieses hochkarätige Feld verschiebt eben die Wahrnehmung. Wie sagte „Klacks“: „Die Kunst des guten Motorradfahrens ­beginnt mit der Selbstbeherrschung! Wehe demjenigen, der sein Temperament nicht im Zaume halten kann!“


Aprilia RSV4 RF ist rassig und radikal

Die Aprilia RSV4 RF ist eine echte Ver­suchung, rassig und radikal. „Be a Racer“, sei ein Rennfahrer, wirbt Aprilia. Mehr als die übliche Italo-Attitüde: 54 WM-Titel holte die Marke aus Noale, stellt das amtierende Weltmeister-Superbike. Und dies hier ist das Homologationsmotorrad. Im 65-Grad-V4 stecken 2015 viele Neuteile: CNC-gefräste Zylinderköpfe, Titanventile mit neuen Federn, modifizierte variable Ansaugtrichter, strömungsoptimierte Airbox, leichtere Nockenwellen (600 Gramm) und obere Motorgehäuse-Hälften (1,3 Kilogramm), optimierter Ölkreislauf und, und, und.

Ein verdammt lustvolles Erlebnis, diesen faszinierenden, erstarkten V4-Stier bei den Hörnern zu packen. Ab 5000 Umdrehungen wird der Kraftwürfel quicklebendig, überflügelt von nun an die R1. Darunter holt er noch ewas Luft, ist aber immerhin mit dann noch geschlossener Auspuffklappe auch recht leise zu bewegen. Begeisternd dreht die Aprilia RSV4 RF hoch, bis 13.700 Touren. Wenn man das mal macht, knurrt sie charakte­ristisch, klingt wie ein ganzes Fahrerlager. Ein sehr sinnlicher Antrieb. Sein spürbares Pulsieren gehört einfach dazu.

 Aprilia RSV4 RF im Fahrbericht

Eine Erfüllung ist das Italo-Fahrwerk. Bei ihm lassen sich sogar die exakte Motorlage, Lenkkopfwinkel und die Schwingenachse einstellen. Ein Rennmotorrad für die Straße. Die agile Aprilia RSV4 RF stürzt sich auf  Kurven wie ein Wanderfalke im Sturzflug auf Vögel. Kurvenhungrig, gierig. Dabei messerscharf in der Lenkpräzision, federleicht im Handling (kleine Kreiselkräfte durch schmale Kurbelwelle wie bei der Duc!), grandios in mechanischer Traktion (um vier Millimeter ver­längerte Schwinge). Begeisternd fährt die RSV4, scheint telepathisch zu wissen, was ihr Fahrer will. Ein Rückmeldungsweltmeister mit kristallklarem Feedback. Sensibel wie ein Seismograf tasten die straff gedämpften Öhlins-Federelemente das Asphaltrelief ab.

Auf 500 Exemplare limitierte RF-Version

Sie sind zusammen mit leichten Schmiederädern, einstellbarem Öhlins-Lenkungsdämpfer und Tricolore-Lackierung Kennzeichen der auf 500 Exemplare limitierten RF-Version für stolze 21.490 Euro. Immerhin, die Fahrwerkskomponenten lassen sich am 3000 Euro günstigeren Standard-Typ RR nachrüsten. Er trägt serienmäßig Gussräder und Sachs-Federelemente. Wunderbar transparent und kräftig beißen die Brembo-Stopper zu, das Bosch-ABS ist sportlich ­abgestimmt. Herrlich lässt sich der bunte Paradiesvogel in die Kurven reinbremsen. Durchdacht ist das Elektronikpaket, die abschaltbare Traktionskontrolle  lässt sich per Plus/Minus-Taster selbst im Eifer des Gefechts ruck, zuck in acht Stufen verstellen.

 Neuvorstellung und Preis Aprilia RSV4 RR und RF

Aprilia bricht die freiwillige Selbstbeschränkung von 299 km/h. Im Fahrzeugschein steht machohaft „305“ als Vmax, und die rennt die RSV tatsächlich. Das schafft die Antonow nur im Sturzflug. Abstriche ­erfordert die Aprilia RSV4 RF im Alltag, Komfort ist nicht so ihr Ding. Abgedreht: Eine Smartphone-App steuert per GPS für 15 hinterlegte Rennstrecken in Europa die Abstimmung von Traktions- und Wheelie-Kontrolle in Echtzeit je nach Streckensektor. Auch ohne dieses Gimmick gewann die RSV4 RF überlegen das Masterbike auf dem Lausitzring in MOTORRAD 11/2015. Gratulation.


BMW S 1000 RR optional mit Tempomat

Die BMW S 1000 RR bläst nun zur Re­vanche auf öffentlichen Straßen. Fünf Kilogramm leichter ist sie als das 2014er-Modell, dank Verzicht auf den Auspuffsammler vorm vergrößerten Schalldämpfer sowie leichteren HP-Schmiederädern für 1200 Euro. Hinzu kommt viel Feinarbeit an Chassis und Motor(Zylinderkopf), Ausstattung und Elektronik. BMW nimmt systematisch konsequent selbst kleine Details ins Visier. Dies ist das Erfolgsgeheimnis: Sich niemals zu lange ausruhen! Bereits legendär sind die Heizgriffe dieses Supersportlers – und so komfortabel an kühlen Frühlingsabenden. Neu 2015: der optionale Tempomat.

 BMW S 1000 RR (2015) im Fahrbericht

 BMW S 1000 RR alt gegen neu im Test

Eine echte Macht, dieser BMW-Motor. Wie er anschiebt, immer drückt. Trotz großer Ganganzeige sucht man immer wieder vergeblich den siebten Gang, weil man solchen Überschuss an Schub kaum glauben kann. Im sechsten Gang von Tempo 60 auf 180 in 9,0 Sekunden, das grenzt an Durchzugsweltmeister! Dabei ist er der kurz­hubigste Vierzylinder. Eine Quadratur des Kreises. Als Sahnehäubchen gibt’s seidenweiche Gas­annahme und komplette Berechenbarkeit. Obenraus stürmt die BMW S 1000 RR wie vom Katapult abgefeuert vorwärts. Wild entfesselt selbst über 250 km/h, als ob ein Engel schiebt. Die Realität verschiebt sich bei 212 PS, Lkws fahren rückwärts. Eine ex­tra Leistungsdusche feuert die Boden-Boden-Rakete bei 11.500 Touren ab, wenn die Ansaugtrichter anheben. Testosteron-Tuning.

Zeigt im Cockpit aktuelle und maximale Schräglage

Untermalt von sonorem Klang, wroup, wroup, wroup, passen die Anschlüsse stets perfekt. Per Schaltautomat flutschen die Gänge in beide Richtungen ohne Kupplungsbetätigung nur so rein: Hahn voll spannen und hochdrücken oder den leichtgängigen E-Gasgriff zum Runterschalten ganz schließen – dann gibt die Elektronik sogar Zwischengas. Alle Assistenzsysteme arbeiten nahezu ideal, unauffällig im Hintergrund und fein justierbar. 218 von mög­lichen 250 Punkten in der Motorenwertung holt die bärigeBMW S 1000 RR. Noch Fragen? Schön direkt lenkt die 2015 handlicher gewordene Wuchtbrumme ein, fährt richtig scharf, bei Bedarf knackenge Linien.

Und zeigt dies sogar an: Ihr Cockpit vermeldet mit optionalem Race-Paket aktuelle und maximale Schräglage sowie Bremsverzögerung. Da hat man was zu staunen. Fein spricht das semiaktive Fahrwerk an, bietet den höchsten Federungskomfort des Feldes. Selbst langsam (Stadtverkehr) kann die ausgewogene BMW S 1000 RR, gibt mit Kombibremse maximale  Sicherheit. Kompakt fällt die Sitzposition aus, recht aufrecht und etwas breitbeinig. So leistet sich dieses geniale Motorrad kaum Schwächen. Insofern scheinen die 20.500 Euro für den Bayern-Bomber inklusive aller Extras nicht mal überteuert.


Ducati 1299 Panigale S mit echtem Punch

Noch mal gut 5000 Euro teurer kommt die Ducati 1299 Panigale als S-Ver­sion. Eine Edelfräse mit geschmiedeten ­Alurädern, semiaktivem Öhlins-Fahrwerk, elektronischem Lenkungsdämpfer, LED-Scheinwerfern und Karbon-Frontkotflügel. Der weltstärkste Serien-Zweizylinder spielt mit 1285 Kubik in einer eigenen Liga, außerhalb des Superbike-Reglements. Ja und? Wir sind im Straßenverkehr, nicht in der WM unterwegs. Hier hämmern die größ­ten Serienkolben mit gewaltigen 140 Newtonmetern auf die Kurbelwelle ein. Mehr Drehmoment für weniger Dreh-Momente: Der Desmo-V2 streicht bereits bei 11.000 Touren die Segel.

Bei der 1299 ist im Gegensatz zur 1199er-Panigale auch in der Mitte richtig Druck im Kessel. Echter Punch, Mach2 auf der Erde! Um Welten überflügelt die Ducati 1299 Panigale S mit 30 Prozent Hubraumplus die sechs 1000er. Ihre riesigen Einzelhubräume (642,5 cm³) haben fast doppelt so viel Bohrung wie Hub! Aus seinen beiden Auspuffen im Tiefparterre bollert der Ultra-Kurzhuber mit den vier Einspritzdüsen, dass die Scheiben in den Hausfassaden wackeln. Fast peinlich. Auch die Lauf„kultur“ ist von eher rumpeliger Art. Sie polarisiert, die wild stampfende Panigale. Man liebt oder man hasst sie.

Mit 205 PS beworben, 197 PS im Schein, 201 PS real

Merkwürdig: Ducati bewirbt die Panigale 1299 mit 205 PS bei 10.500/min, doch im Fahrzeugschein stehen „nur“ 197 PS. Dann stapelt die durchzugsstarke Granate bei echten 201 PS tief. Wie bei der BMW S 1000 RR funk­tioniert der Schaltautomat in beide Rich­tungen, braucht aber mehr Nachdruck. Er ­unterbricht die Zündung/Einspritzung gefühlt einen Tick länger. Macht aber trotzdem den Kopf frei. Derweil kann die Kupplungshand während der Fahrt flugs Motorbremse (!), Traktions- und Wheelie-Kontrolle justieren. Über die breit ausgestellten Lenkerstummel folgt die liebt oder man hasst Einlenkimpulsen willig und direkt. So fährt sie harmonischer, runder und weicher als die 1199.

 Ducati 1299 Panigale S im Fahrbericht

 Vergleich Ducati 1299 Panigale S gegen 1199 S

Weil sie mit weniger Kraftaufwand engere Linien hält, den dickeren Fahrersitz hat. Und ihr Federbein viel sensibler anspricht. Ohnehin ein Gedicht ist die Gabel. Die elektronische Regulation der Dämpferventile klappt prima. Egal ob auf Bodenwellen, in Schlaglöchern oder beim Bremsen/Beschleunigen – es funktioniert exakt und rasch. Dieses Fahrwerk arbeitet, anders als das der 1199, auch Mikrohubbel im Asphalt ab. Aggressiv ankert Boschs Kurven-ABS. Letztlich braucht die 1299 im Vergleich zum übrigen Sechserfeld etwas Gewöhnung. Sie ist kein ganz einfach zu fahrendes Motorrad. Aber dafür emotional ganz großes Kino.


Honda Fireblade SP schnurrt wie ein Kätzchen

Sie war 2009 ein Pionier, die immer noch aktuelle Honda Fireblade: der weltweit erste Supersportler mit ABS, zusammen mit der 600er-Schwester! Heute undenkbar, ohne auszurücken. Sehr komplex, diese Honda-Bremsen: Ein echtes „Brake-by-Wire“, bei dem digital gesteuerte, Servopumpen und Magnetventile den Bremsdruck aufbauen und zwischen Vorder- und Hinterrad verteilen. Nicht zu spüren, dass man gar nicht selbst direkt die feinen Brembo-Monoblocks zukneift. Sie sind – zusammen mit dem Öhlins-Fahrwerk, Karbon-Kotflügel und anderen Gabelbrücken – das Kennzeichen der einsitzigen SP-Version.

Der Motor der Honda Fireblade SP ist identisch mit dem der Standard-Feuerklinge. Allerdings werkeln darin ausgewählte Kolben mit maximal ­einem Gramm Gewichtsunterschied. Der Geist der Perfektion! Dieser Antrieb ist kein wütender Berserker, schaltet erst jenseits der 10.000 Umdrehungen den Nachbrenner ein. Bis dahin liegt der Reihen-Vierer stets unter dem Suzuki-Antrieb. Wie ein Kätzchen schnurrt der Motor, bleibt selbst mit Akrapovic-Auspuff schön leise. Konventionell von Gaszügen betätigt, hängt er weich, nicht aggressiv am Gas. Schön leichtgängig funktioniert die Anti-Hopping-Kupplung. Auf mittlerem Niveau bewegt sich die Laufruhe – es kribbelt eher beim Gaswegnehmen. Durchaus spürbar sind Lastwechsel­reaktionen beim Gas-auf-Gas-zu-Gas-wieder-auf.

Käme als Zweisitzer in diesem Test weit nach vorne

Honda-like segelt die Fireblade durch Kurven jeder Couleur: berechenbar, gutmütig, fast unspektakulär flott. Auch wenn der ­erste Einlenkimpuls einen Tick mehr Verve braucht als bei den ganz modernen Maschinen. Dabei steht der Lenkkopf hier mit 66,7 Grad am steilsten von allen. Auf die gleichen griffigen Supersport-Pellen Pirelli Supercorsa SP wie die Ducati setzt auch die Honda Fireblade SP. Damit setzt sie selbst enge Linien spurtreu um, macht benutzerfreundlich eins zu eins, was der Fahrer will. Die schwedischen Federelemente sind von Haus aus ziemlich straff. Aufdrehen der Dämpferschrauben macht sie viel komfortabler.

 Honda CBR 1000 RR Fireblade SP im Fahrbericht

Das passt zum sanftmütigen, ausgewogenen Charakter. Da verzeiht man sogar die wirklich fehlende Traktionskontrolle. Und die etwas breitbeinige Sitzposition. Stolz prangt der Gewinn in der MotoGP 2014 auf dem Tank: Fahrer-, Konstrukteurs- und Team-Weltmeisterschaft. Wäre schön für die Honda-Jünger, wenn ein bisschen mehr Renntechnik die nächste Blade inspirierte. Trotzdem käme die Honda Fireblade SP als Zweisitzer in diesem Test weit nach vorn. Kompliment.


Kawasaki ZX-10R liegt wie ein Pfeil, hochstabil

Anders als die Honda hat die Kawasaki ZX-10R Ride-by-Wire und Traktionskontrolle. Sie drückt allerdings mit exakt gleich großen Kolben bis zur 11.000er-Marke­ weniger Leistung ab. Jammern auf höchs­tem Niveau? Nicht ganz. Das Feuerwerk tobt erst oben, im Drehzahlkeller erwartet man mehr Qualm von der giftgrünen Marke mit dem Kraft-Karma. Die Durchzugswerte von 60 auf 140 (7,6 Sekunden) sind die am wenigsten rasanten des gesamten Septetts. In Serpentinen heißt es weit Zurückschalten – an Bord einer 1000er. Dabei fällt die recht klein gehaltene Ganganzeige in den Blick. Also besser mitzählen. Rennmäßig lang sind erster und zweiter Gang übersetzt, sie reichen rechnerisch bis Tempo 152 bzw. 192!

Kawasaki-typisch öffnen sich die elek­tronisch betätigten Drosselklappen aus der geschlossenen Position heraus einen Tick schwerer als bei allen anderen Maschinen. Das verzögert die Gasannahme, braucht ­etwas Konzentration, ist nichts für Grobmotoriker am Gasgriff. Positiv: die dreistufige Traktionskontrolle und die drei verschiedenen Motor-Mappings (voll, mittel, niedrig) lassen sich während der Fahrt unabhängig voneinander leicht vom Lenker aus einstellen. Edel sind die teuren, mit Wasserdruck geformten Titankrümmer. Schade, dieser mäßig bullige Motor überzeugt nicht restlos. Und das Fahrwerk? In lang gezogenen, schnellen Kurven liegt die Kawasaki ZX-10R mit ihrer mächtig ausgeführten Schwinge wie ein Pfeil, hochstabil. Das hat was.

ZX-10R mit verstellbaren Fußrasten

Ganz enge Radien sind dagegen nicht so das Ding der Kawasaki ZX-10R. Hier kommt die Serienbereifung ins Spiel: Bridgestone BT 016 in Sonderkennung „CC“ scheinen kein top-aktuelles Material zu sein. Mit ihnen treten hin und wieder irritierende Rutscher auf, vorn wie hinten. Zudem ist das Lenkverhalten nicht so harmonisch und neutral wie ­zuletzt noch mit famosen Bridgestone S 20. Dieser neuere Japan-Pneu ist einfach der bessere Sport-Allrounder. Kleiner Seitenhieb: Ihn trägt die Suzuki GSX-R 1000 in Sonderkennung „F“. Andere Reifen könnten vermutlich auch leichtfüßiger machen, so ist das Handling nur mittelprächtig.

 Dauertest-Abschlussbilanz Kawasaki ZX-10R

Gefühlt spannt einen die Kawasaki ZX-10R lang über den Tank. Das gehört so, ist ja schließlich ein Sport-Motorrad. Klasse sind die verstellbaren Fußrasten, da kann sich jeder seine Position im recht tiefen Sitz (81 Zentimeter Sitzhöhe) raussuchen. Obacht beim Wenden: Die Lenkerstummel kommen dem Tank nah, schön auf die Finger aufpassen.


Suzuki GSX-R 1000 2015 auch mit ABS

Eine rollende Legende ist die Suzuki GSX-R 1000, setzt Trends seit 2001, der K0. Nunmehr in der fünfeinhalbten Generation. Grandiose Erfolge feierten GSX-R-Renner, gewannen in zehn Jahren neunmal die Langstrecken-WM, siegten haufenweise bei den 24 Stunden von Le Mans und beim Bol d’Or. Respekt. „Kennt jedes Siegertreppchen persönlich“, wirbt Suzuki. Doch draußen auf der Straße hat man die Kilo-Gixxer kaum noch auf dem Zettel. Schließlich ist sie seit fünf Jahren unverändert. Fast. Im Jahr 2015 gibt es das lang ersehnte ABS. Und dazu dann auch endlich bissigere Bremsbeläge. Ein Riesenschritt in die richtige Richtung. Auch wenn die Brembo-Monoblocks hier nicht ganz so aggressiv zubeißen wie bei den anderen Kandidaten und das ABS noch etwas feiner regeln dürfte.

Das Sahnestückchen der Suzuki GSX-R 1000 ist ihr feiner und standfester, am wenigsten kurzhubiger Motor. Er tritt stark an, auch von unten. Dazu arbeitet er kultiviert, hängt seidig am Gas, lastwechselt und vibriert kaum. Klasse! Nur auf der Rennstrecke fehlt(e) es dem Vierzylinder obenheraus an Anschluss zur höchsten Leistungsliga. Im wahren Leben hat er jederzeit mehr als genug Power. Schon „Klacks“ wusste: „Nicht die Höchstgeschwindigkeit einer Maschine macht den Fahrer zum schnellen Mann, es ist der hohe Durchschnitt auf langen Reisen, der ihn zum Meister macht!“ Auf der Landstraße ruft man fast nie mehr als 70 oder 80 PS ab.

 Dauertest-Abschlussbilanz Suzuki GSX-R 1000

Löblich: Die Suzuki GSX-R 1000geht wie die Honda Fireblade besonders sparsam mit Sprit um. Sie verbrauchen nur 4,8 Liter auf 100 defensiv ­gefahrenen Landstraßenkilometern. Doch GSX-R 1000 und CBR 1000 RR sind die ­Kandidaten mit den höchsten ab Werk angesetzten Inspektionsrichtzeiten: Kurze 6000er-Wartungsintervalle, im Gegensatz zur Kawasaki stets mit Ölwechsel, sind nicht mehr zeitgemäß. Sicherheit gibt die Mobi­litätsgarantie, genau wie bei Aprilia, BMW und Ducati. Zusammen mit der Honda ­bietet die Suzi den besten Windschutz. Allerdings hat sie die schmalsten Lenker­stummel. Trotzdem schwingt sie easy über kurvenreiche Langlandstraßen, folgsam und präzise, wedelt locker durch Wechselkurven. Ein tolles Motorrad. Daran ändern auch das etwas hölzern ansprechende Federbein und die fehlende Traktionskontrolle nichts.


Yamaha YZF-R1 leichtester Vierzylinder dieser Klasse

Für die vielen Freunde der Marke Yamaha kommt das Beste zum Schluss, die rundweg neu konstruierte Yamaha YZF-R1. Ein Motorrad, das sich vom ersten Meter an gut anfühlt – kompakt, fast zierlich wie eine 600er. Ein Pfeil auf Rädern, sportiv und sinnlich. Dazu trägt die ungleichmäßige Zündfolge des Big-Bang-Vierzylinders ihren Teil bei. Er zündet asymmetrisch alle 270-180-90-180 Grad. Und klingt daher wie ein V4 mit 90 Grad Zylinderwinkel, nicht wie normale Reihen-Vierzylinder, die alle 180 Grad feuern (Aprilia-V4: 180-65-180-295 Grad). Auf der R1 kann man leise durch die Stadt (g)rollen und genießt dennoch guten Klang.

Der Pseudo-V4 der Yamaha YZF-R1 ist ein echter Dreh-Motor. Von 5000 bis 8000 Touren ist dies der schwächste Antrieb, darüber geht die Post ab. Nicht ohne Grund schaltet der LCD-Drehzahlmesser bei der 8000er-Marke von Schwarz auf Grün (und bei 11.000/min auf Orange), zeigt die Wohlfühldrehzahl an. So ertappt man sich immer wieder mal beim Zurückschalten, selbst auf der Autobahn. Um nach rasantem Drehmomentanstieg die zweite, spannendere Drehzahlhälfte zu entern. Da gehört Zug an die Kette! ­Zumal der Crossplane-Motor schön sanft pulsiert. Den höchsten Benzinverbrauch muss man halt in Kauf nehmen. Genau wie geharnischte Lastwechselreaktionen, etwa im Stadtverkehr, in Spitzkehren oder beim Blindflug um nicht einsehbare Kurven.

Yamaha-typisch springt die R1 vor allem im A-Modus recht ruppig ans Gas. Etwas weicher macht es Modus B, deutlich sanfter der leistungsgekappte dritte Modus. Das echte Glanzstück dieses Nippon-Sportlers ist sein Eins-a-Fahrwerk. Ein fantastisch ­präziser Tiefflieger durch die Kurven, wunderbar rund und präzise – wie von einem Laserstrahl gesteuert. Absolut begeisternd. Engste Radien anpeilen? Kein Problem. „Die Yamaha YZF-R1 fährt toll übers Vorderrad“, sagen echte Rennfahrer. Heißt: Sie vermittelt viel Vertrauen und Rückmeldung vom Geschehen vor und unter einem, lässt sich einfach dirigieren. Da war es wieder, dieses 600er-Gefühl.

Man liegt fast auf der Yamaha

Ob es an den ultrakurzen 1405 Millimetern Radstand liegt? Nun, die hat die Suzuki auch. Oder den leichten Magnesium-Rädern? Leichtbau frönt auch der lackierte Aluminiumtank. Tipp: In Rot-Weiß sieht die Yamaha YZF-R1 fast noch schärfer aus. Viel Überholprestige bringen schmale LED-Leuchtbänder über den LED-Hauptscheinwerfern – als schräge „Schlitzaugen“. Sie verbessern die Erkennbarkeit. Gleiches gilt für die Leuchtdioden in den Honda-Spiegeln. Sportlich: Man liegt fast auf der Yamaha, nichts für Leute, die sich Flugzeuge am Himmel anschauen wollen. Bück dich halt, wenn du’s rasant magst.

 Yamaha YZF-R1 im PS-Performance-Test

 Aprilia RSV4 RF und Yamaha YZF-R1M im PS-Test

Als „zentrales Nervensystem“ (Yamaha) arbeitet in der Yamaha YZF-R1 ein „Sensorcluster“, der ­alle Bewegungen des Fahrzeugs dreidimensional erfasst und für die Kontrolle von ­Traktion, Schlupf, Wheelie-Neigung, Launch Control, Driftwinkel (!) und Bremsen sorgt. Ein Rechner auf Rädern. Jeweils ungleich große Kolbenpaare haben die vorderen Vierkolbensättel. Subjektiv dürften sie ruhig noch stärker zubeißen. Auf Nummer sicher: Wie bei allen Japanern ist das ABS auch bei der R1 nicht abschaltbar. An technischen Highlights mangelt es diesem Motorrad nicht. Doch um die BMW zu schlagen, bräuchte sie noch ein wenig Feinschliff.

Für Höhenflüge nahe am Asphalt taugen ­alle sieben Kandidaten, machen wider Erwarten selbst mit Tempolimits richtig Laune. Kompliment an die rollenden Technologieträger, diesen Raketen auf Rädern.



Quelle: motorradonline.de